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AutorenbildFiona

Auf der Alm hört dich niemand schreien

Lesen ist gut für dich, haben sie gesagt. Bücher sollten deine Freunde sein, haben sie gesagt. Und ich glaubte ihnen. Bis ich die Wahrheit über den Alm-Öhi herausfand.

Machen wir es kurz: Der knorrige Einsiedler hat vermutlich jemanden umgebracht. Als junger Mann schloss er sich den Schweizer Truppen in neapolitanischen Diensten an. Soweit alles noch ganz seriös. Dort mischte er aber bei einer Schlägerei mit, bei der er wohl einen tötete.


Danach ist er mal lieber desertiert. Kommt jetzt im Lebenslauf nicht unbedingt gut. Jedenfalls war er bei seiner Rückkehr schließlich so drauf, wie man ihn kennt. Darum dann das Aussteiger-Ding.


Steht alles im Originalroman „Heidis Lehr- und Wanderjahre“ von Johanna Spyri. Sogar gleich im ersten Kapitel. Da erzählt Tante Dete einer Frau aus dem Dörfli die Geschichte. Ich persönlich werte das als einigermaßen verlässliche Quelle.


In dem Moment ist etwas in mir zerbrochen. Für immer. Trotzdem habe ich den Mut zusammengenommen und die Stelle für diese Glosse hier extra nochmal nachgelesen. Ich bin Ihnen gegenüber ja zur exakten Fakten-Wiedergabe verpflichtet. Aber ich will mich auch nicht unnötig rühmen.


Von wegen heile Welt und Berg-Idylle. Auf der Alm, da gibt’s nicht nur Sünd‘, sondern vor allem einen nicht überführten Kriminellen. Abgründe, die sich auftun. Für Erbauungsliteratur ziemlich unerbaulich, wenn Sie mich fragen.


Der Gipfel, bei so jemandem eine wehrlose Fünfjährige in Obhut zu geben. Hallo? Kindeswohlgefährdung? Zumindest erklärt es, warum man Albtraum auch mit p schreiben kann.


Und am Ende steht er kurz davor, eine Kaffeetasse mit „liebster Opa der Welt“ überreicht zu bekommen. Die Murmeltiere pfeifen es von den Hängen: Der Alm-Öhi hat Dreck am Stecken.


Cholerische, soziopathische Verhaltensmuster? Fragt im Hüttenzauber kein Mensch mehr nach. Bleibt zu hoffen, dass die putzige, kleine Heidi als Pubertierende den Öhi nicht irgendwann bis zur Weißglut treibt. Hollaladi-jadijadi-hollariaha.


Mein Lektüre-Erlebnis hat mich vorsichtig werden lassen. Insbesondere bei vermeintlich harmlosen Kinderbüchern. Ich traue keiner Figur mehr.


Rapunzel hat uneheliche Zwillinge vom Prinzen. Lässt mich kalt.


Winnie the Pooh soll in Wirklichkeit ein Mädchen sein. Schockt mich nicht.


Ich bin durch eine harte Schule gegangen. Ich habe Heidi gelesen.


Fiona Pröll

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