Das Fruchtkomplott
- Fiona

- 28. Sept.
- 7 Min. Lesezeit
Nur die Harten kommen in den Markenmythos-Garten. Eine kurze Obstsaga von Apfel bis Zielgruppenhype.
Es gab eine Zeit, da war Fruchtsaftgetränk nicht gleich Fruchtsaftgetränk. Da war Punica. Jede Flasche ein handliches tropisches Wellness-Retreat: Palmen, Pfirsich und Orange in Vollentspannung. Irgendwo dazwischen ein Apfel, für den das Wüstenmärchen an anderer Stelle wahr werden sollte.
Drei Jahrzehnte lang thronte die Mini-Oase in jedem deutschen Supermarkt, auf jeder Picknickwiese, manchmal sogar dekorativ auf dem Beifahrersitz. Bereit, eine jede Brotzeit in eine Südseereise zu verwandeln.
Und dann? Dann war sie weg, um es trocken zu sagen. Heimlich, still und leise wurde ihr 2022 der Saft abgedreht. Kein Aufschrei, kein Fruchtalarm, kein Hashtag. Nicht eine Kerze vorm Rewe. Nur die Leere in den Regalen zwischen Hohes C und Wasser mit Geschmack.
Erst Monate später fiel auf, dass keine neuen Flaschen mehr in den Läden angespült wurden. Was sagt das über unser Verhältnis zu Marken aus, wenn selbst ein Kultprodukt im kollektiven Gedächtnis zu versanden vermag? Wo war das kollektive Punica-Trauma, als es darauf ankam?
Fragen über Fragen. Höchste Zeit für eine kleine obstlastige Exkursion in Sachen Markenhype und Legenden.
Wer sich durch die Werbegeschichte des 20. Jahrhunderts knabbert, merkt schnell: Früchte im Logo waren nie nur Deko, sondern stets Appetizer. Gedacht, um die Kundschaft beim Hinsehen auf den Geschmack zu bringen.
Mit einem ganzen Hut voller Vitamine zwinkert Miss Chiquita von Bananenaufklebern entgegen. Sie erblickte 1944 das Licht der Obstschale. Damals selbst noch als Banane im Carmen-Kleid. Ein tropisches Früchtchen, das den Amerikanern beibrachte, wie man die Exoten lagert, ohne dass diese binnen weniger Tage in kompostbereites Gold zerfließen. 1963 wurde sie von Dick Browne, dem Zeichner von Hägar dem Schrecklichen, nochmal neu entworfen. Der Cartoonist beschrieb sie in seiner Kreation als halb Frau und halb Banane. Ein Obsttraum für die Söders dieser Welt.
Doch das einstige Frucht-Pin-up hat sich gewandelt. Zur Markenrepräsentantin mit Haltung. Buchstäblich. 2023 und 2024 trat sie als Botschafterin der Pink-Ribbon-Kampagne für Brustkrebsprävention auf. Dafür änderte sie ihre klassische Pose und zeigte sich beim Selbstabtasten: ein starkes Symbol für Vorsorge und Empowerment.
An ihrer Seite seit Kurzem: der Bananaman. Sein Motto: „It Peels So Good“…
… Auch wenn dieser Blog hier ein notorisches Faible für Wortspiele hat – irgendwo gibt es eine Grenze. Und die ist ziemlich genau dort erreicht, wo ein Maskottchen in Schale geschält werden will. Also weiter.
Alles Banane, dachten sich wohl ebenso die kreativen Köpfe der Modekette Banana Republic. Der Name mutet wie ein Kolonialwitz an. Dennoch entwickelte sich die Marke zu einem Milliardengeschäft und ist Teil des US-Modeimperiums Gap.
Neuerdings führt Banana Republic übrigens auch Heimtextilien: unter dem Label BR Home. Falls Sie spontan angenommen hätten, dass BR Home einen Sendeplatz zwischen Landfrauenküche und Zsammg’spuit hat: Sie sind nicht allein. Ich war schon halb auf dem Weg zum Sofa, eingestellt auf Einspieler mit sanftem Übergang und die Durchstellmöglichkeit für Zuschaueranrufe.
Generell scheinen Früchte im Kleiderschrank beliebt zu sein. Auf seine saftigen Preise weist wenig subtil das Modelabel Juicy Couture hin. Ja, die Chenille-Trainingsanzüge sind zurück. Jeder, der einmal darin eine Treppe hochgestiegen ist, weiß: Juicy ist nicht nur ein Markenname, sondern auch ein dunstiges, textilnahes Erlebnis.
Wer es etwas günstiger mag, greift zu einem T-Shirt von Fruit of the Loom. Auf Deutsch: Früchte des Webstuhls. Das Logo – ein Obststillleben: ein Apfel, eingerahmt von Weintrauben und anderen Beeren. Als hätte jemand im Kunstunterricht zu viel Zeit und zu wenig räumliche Tiefe gehabt. Erstmals war es vermutlich 1893 auf der Weltausstellung in Chicago zu sehen. Davor bestand das Markenzeichen lediglich aus einem roten Apfel.
Die Idee mit dem Obst auf dem Stoff geht angeblich auf den Farmer Rufus Skeel aus dem Hudson Valley zurück. Dessen Tochter malte leidenschaftlich gerne rote Äpfel und klebte eines ihrer Bilder auf einen Stoffballen. Dieser verkaufte sich prompt besonders gut, sodass Skeel beschloss, alle hochwertigen Stoffballen mit dem Etikett auszustatten. Die Geschichte kam den Leuten von Fruit of the Loom zu Ohren. Der Name der Brand war geboren.
Zu einem wahren Markenmythos ist der Apfel, englisch Apple, gereift. 1968 gründeten die Beatles ihr Plattenlabel Apple Records. Statt Pilzköpfen im Logo wählte man einen Granny Smith. Knackgrün und selbstbewusst genug, auf dem Cover der Single „Hey Jude“ eine Weltkarriere zu starten.
Bekanntlich hielt das runde Obst nicht nur in der Abbey Road Einzug. Es wurde zum Symbol eines der größten Technologieunternehmen der Welt. Apple – umkreist von einer Armada an Herkunftsgeschichten. Alle irgendwie wahr, alle irgendwie Veräppelung, wie bei jeder guten Legende:
Eine besagt, der Firmengründer Steve Jobs wollte das Unternehmen schlicht vor der Konkurrenz Atari im Telefonbuch sehen. Andere behaupten, er habe damit seine Überzeugung als strenger Veganer ausgedrückt und sei nach mehreren Wochen in einer Kommune mit der Idee zurückgekehrt.
Die nächste Anekdote kramt in Jobs Urlaubserlebnissen. Kurz vor der Firmentaufe sei er an einem Ferienort gewesen, an dem zu der Zeit die Apfelernte stattfand. Freunde britischer Musik sind sich dagegen sicher, dass seine Verehrung für die Beatles die wahre Namenspatin ist.
Oft wird die Label-Taufe einer Deadline zugeschrieben. Steve Jobs hatte seinen Mitarbeitern angeblich einen harten Anschlag gesetzt, um einen geeigneten Namen für das Jungunternehmen zu finden. Die Zeit drängte, die Firma war noch nicht angemeldet und so soll Jobs den Namen Apple aufgestellt haben, um die Kreativität der Angestellten anzuspornen. Eine fruchtendere Idee blieb aus, da musste man in den sauren Apfel beißen und den Namen behalten.
Einige sehen im Logo eine Anspielung auf den Selbstmord des Mathematikers Alan Turring, einer der geistigen Väter des Computers. Neben dessen Totenbett lag ein angebissener, von ihm selbst vergifteter Apfel. Einer von Turrings Lieblingsfilmen war die Disneyversion von Schneewittchen.
Eine religiös angehauchte Erklärung: Als laut Bibel Adam und Eva die Frucht – in der heutigen Übersetzung: den Apfel – vom Baum der Erkenntnis aßen, wurden sie aus dem Garten Eden vertrieben. Eine Zeit lang war das Apple-Logo in Regenbogenfarben gehalten. Mit etwas Fantasie lässt sich darin ein Symbol für Hoffnung – man denke an die Arche Noah – und die Rückkehr ins verlorene Paradies erkennen. Angeblich habe man zeigen wollen, dass Apple Computer mit der Vision einer besseren Zukunft gegründet worden sei.
So schön der Schöpfungsmythos auch klingen mag, die Sache hat einen Wurm: Die Logodesigner selbst gaben später zu, nicht an die biblische Konnotation gedacht zu haben. Wesentlich simpler wirkt hingegen die Erklärung, der natürliche Apfel sei als ironisches Symbol für den artifiziellen Computer gedacht gewesen.
Warum der Biss? Ein Wortspiel im Englischen. Beißen heißt da to bite, was sich wie das Byte, die Computereinheit, anhört.
Sofern Sie meinen, Apple Computer hätte schon immer mit dem angebissenen Apfel geworben, liegen Sie falsch. Jetzt aber bitte nicht angefressen sein. Schließlich kennt heute kaum einer das ursprüngliche Logo, das von Ron Wayne stammt.
Ein aufwändig gestalteter, barock anmutender Kupferstich mit einer Schärpe, auf der der Firmenname prangt. Das Bild zeigt einen unter einem Baum sitzenden und über ein Schriftstück gebeugten Isaac Newton. Am Baum, direkt über Newtons Kopf, hängt der Apfel. Die Szene spielt auf die Entdeckung der Schwerkraft an.
Das Logo missfiel. Es war zu kleinteilig und schwer zu reproduzieren – es hatte einfach keinen Biss. (Okay, Glashaus, ich weiß. Fairerweise hätte ich vorhin auch mit dem Wortwitz vom Bananaman nachsichtiger sein sollen.)
1976 wurde Regis McKenna beauftragt, ein neues Apple-Logo zu entwerfen. Seine stilisierte Frucht schmückt, wenngleich in abgewandelter Form, noch heute die Geräte. Erst war der angebissene Apfel schwarz, mit der Einführung bunter Bildschirme bekam er Regenbogenfarben ähnlich den Streifen im IBM-Logo von Paul Rand. Heute strahlt er in minimalistischem Stil.
Apple wurde als Garagenfirma 1976 von Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne gegründet. 1977 erlebte Punica seine Markteinführung durch Onkel Dittmeyer. Während Punica als Sparte des US-Konzerns Procter & Gamble in den 1990er-Jahren mit bunten Werbespots omnipräsent war, überlebte Apple die 90er nach dem vorübergehenden Ausscheiden von Steve Jobs nur knapp. Zur Kultmarke wurden der Mac und Co. erst ab den frühen 2000ern. Die Zeit, in der Punica an eine Investmentfirma ging, bevor es kurz darauf bei PepsiCo landete.
Man könnte fast meinen, es gäbe zwei Sorten Markenfrüchte: Die eine hält sich als säkulare Ikone. Die andere klebt als Kindheitserinnerung an alten Pausenboxen.
Hatte Punica einfach zu viel versprochen? 13 Vitamine. Bei 100 Prozent Zuckerflash. Oder ganz im Gegenteil zu wenig?
Apple floriert gerade deshalb im Markendschungel so überaus erfolgreich, weil es den Kult in Monokultur großzuschreiben versteht.
Ein Fruchtlogo, das zum Statussymbol wurde. Die Produktionskosten für das Standardmodell vom iPhone 16 lagen laut „Bill of Materials“-Auswertung durch die Investmentbank TD Cowen bei etwa 416 US-Dollar. Erhältlich war es zum Preis von 799 US-Dollar.
Außerdem verkauft Apple nicht nur Geräte, sondern immer auch das Gefühl, zu spät dran zu sein. Der Tech-Gigant beherrscht das Prinzip künstlicher Knappheit wie kaum ein anderer:
Limitierte Stückzahlen zum Launch. Gestaffelte Verfügbarkeit. Exklusive Farben oder Editionen. Verzögerte Lieferzeiten. Frühe Erhältlichkeit oft nur über Apple selbst. Oder kurz gesagt: Sie bekommen es nicht – und wollen es deshalb umso mehr. So entsteht inszenierter Markenhype. Labubus und Stanley Cup, ich sehe auch in eure Richtung.
Apple wäre nicht Apple, wenn nicht noch ein ganzes Lebensgefühl obendrauf käme: iMood zum Mitnehmen. In den Werbespots wummern die Basslinien. So treibend, als ließe sich mit einem iPhone der eigene Puls upgraden. Dazu Bilder, präzise im Takt choreografiert. Nahaufnahmen, Lichtreflexe, Slow-Motion: So wird selbst eine Laptop-Kante zu Elektronik-Erotik. Das Gefühl, beim Kauf gleich auch Kreativität, Freiheit und Selbstwirksamkeit in der clean-weißen Packung zu finden.
Hätte Punica einfach anders vermarkten sollen? „Jetzt neu – Punica in Space Gray. Exklusiv in ausgewählten Edeka-Flagship-Stores. Limit: zwei Flaschen pro Haushalt.“ Launch-Event mit Countdown in der Getränkeabteilung. Warteschlangen bis zur Kühltheke. Und Kinder, die flehen: „Bitte, die Limited Edition ‚Pfirsich-Mango Ultra‘ – alle in meiner Klasse haben sie schon!“
Die Chance dazu bietet sich Punica jetzt zumindest wieder. Der abgeholzte Markendschungel wird manchmal eben doch wieder überraschend aufgeforstet. Punica ist seit 2024 zurück. Die Hamburger Firma Columbus Drinks hat die Saft-Limo neu aufgelegt in die Regale gebracht.
Punica 2.0? Fühlt sich erst mal an wie ein Reboot der Lieblingsserie: Man erkennt ein paar Motive. Aber die Dialoge wirken komisch und die Hauptfigur hat einen anderen Haarschnitt.
Da war mal was anders. Irgendwas mit Palmen. Und Kindheit. Und sehr viel Zucker.
Fiona Pröll





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