Immer wenn es still war, konnte ich sie hören. Jahre, Jahrzehnte lang. Die Stimmen aus meiner Kindheit, die sich mir, so schien es, unauslöschlich in die Hirnrinde eingebrannt hatten.
Gib schön die Hand. Hör auf, dein Gesicht zu vergraben. Sitz nicht andauernd vor dem Computer. Überhaupt, warum verbringst du deine Freizeit in der stickigen Wohnung? Such dir draußen Freunde zum Spielen. Aber vor allem: Kein Mensch braucht derartig viel Toilettenpapier.
Es wurden Grenzen gesetzt. Die sind jetzt gefallen. Und dafür musste nicht mal David Hasselhoff auftreten.
Wie heißt das Zauberwort? Pandemiebestimmungen. Denn der derzeitige Ausnahmefall bestätigt nicht die Regeln. Ganz im Gegenteil sogar. Was mir als Kind beigebracht wurde, hat plötzlich seine Gültigkeit verloren.
Der Verhaltenskanon wankt gehörig. Vive la Révolution! Hat jemand einen Stift zur Hand? Ich schreibe die Regeln neu.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Als dröger Vertreter der Generation Y bietet sich mir die Gelegenheit, an der praktischen Vernunft Kritik zu äußern, wahrscheinlich nie wieder. So muss es sich angefühlt haben, ´68 dabei gewesen zu sein.
Ab jetzt ist alles möglich. Ein Leben hart am Limit.
Ich werde ohne Frühstück das Haus verlassen. Beim Gehen schlurfen. Vielleicht sogar einen Rundrücken machen. Mich selbst grundsätzlich zuerst nennen. Dem, der mit mir redet, nicht in die Augen schauen. Schielen, wenn die Uhr schlägt. Mit vollem Mund sprechen und mit offenem kauen. Dabei die Ellbogen auf den Tisch aufstützen, versteht sich. In Zukunft zählt „darum“ außerdem als Antwort, keine Widerrede.
Ganz ehrlich, das hätte ich nicht von mir erwartet. Was sollen bloß die anderen denken? Soweit ich mich erinnern kann, durften die ohnehin immer alles. Egal, irgendwann werde ich mir nochmal dankbar sein.
Wenn Sie mich nun entschuldigen würden. Da gibt es Kirschen und ein Glas Wasser, auf denen mein Name steht.
Fiona Pröll
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