Major Ton
- Fiona

- 31. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Alle waren wegen der Sterne da. Ich wegen der Zwischenrufe.
Wie oft ich als Kind in unserem städtischen Planetarium saß, weiß ich nicht. Mit der Kita, der Schule, eventuell bin auch mal versehentlich mit einer fremden Gruppe mitgegangen.
Über uns breitete sich die Milchstraße aus. Unten im Saal ein zweiter Kosmos: der des „Ich kann das Licht auch wieder anmachen“-Manns.
Vorführer-Bad-Ass. Mythos. Akustisches Denkmal.
Es gibt Helden, die tragen Raumanzüge. Andere ein Mikrofon in Dauerbereitschaft.
„Ich kann das Licht auch wieder anmachen.“ Und er meinte es so. Dabei handelte es sich um keine leere Drohung, das war ein galaktisches Gesetz.
Von wegen Hüter der Sterne. Er herrschte über die Dunkelheit selbst:
„Du in der vorletzten Reihe: Die Brezentüte wandert direkt wieder in den Rucksack.“ Zack, Sternschnuppe verglüht.
„Kein Wunder, dass die Schüler sich so aufführen, wenn nicht mal die Lehrer sich benehmen können.“ Bämm, pädagogische Supernova.
„Wenn später ein Krümmel unter euren Sitzen liegt: Da steht der Besen.“ Schwarzes Loch der guten Laune.
Für ihn war das Planetarium nicht einfach Arbeitsplatz, sondern ein Mission Control Center. Kein Perseiden-Regen prasselte je so zuverlässig wie seine Durchsagen. Das Weltall mag sich unendlich ausdehnen, doch er konnte das Chaos mit einem einzigen Satz zusammenstauchen.
Wie er aussah: Vielleicht Halbvulkanier. Vielleicht Typ Hausmeister. Vielleicht graue Anzughose, Schnauzbart.
Vielleicht auch nichts von alledem.
Seine Stimme allerdings hallt bis heute nach. Schmetternd, unerbittlich. So eindrucksvoll, dass Darth Vader seine Maske abgenommen hätte, nur um besser zuhören zu können.
Im Vakuum des Alls bleibt jeder Ton außen vor. Aber sich auf eine Diskussion mit ihm einzulassen, wäre selbst dem Universum zu heikel gewesen.
Manchmal frage ich mich, was er heute macht. Wahrscheinlich ist er längst im Ruhestand.
Vermutlich steht er jetzt morgens auf seinem Balkon und sorgt bei den Amseln für Ordnung: „Keine Experimente mit dem Blumenkasten, verstanden? Das hier ist kein Hindernisparcours.“
Oder er schickt seinen Enkeln Sprachnachrichten: „Die Stofftiere sitzen gefälligst im Regal und nicht wie eine Pöbelgruppe mit euch vor der Glotze.“
Jedoch sehe ich ihn noch in ganz anderen Rollen:
Als DJ in irgendeinem Kellerclub. Alle wollen die Bässe spüren, er hebt das Mikro: „Da vorne an der Bar – der Strohhalm bleibt im Glas.“ Stille. Respekt.
Oder als Wärter in einer Kunsthalle: „Die Hand von der Skulptur. Ja, auch wenn sie so schön glänzt.“
Oder als Standesbeamter: „Wer gleich Konfetti wirft, kommt dann eben zu spät zum Mittagessen.“
Oder als Kinoaufsicht: „Ich hab gesagt, Popcorn erst kauen, dann reden.“
Er könnte auch ins Homeoffice gewechselt sein und sich zwischendurch in Zoom-Meetings unmuten: „Sie in der dritten Kachel von links obere Reihe, Ihr Headset knistert.“
Was mich anbelangt, so habe ich in all den Vorführungen wenig überraschend kaum etwas über den Weltraum gelernt. Bis heute verwechsele ich regelmäßig die Begriffe Astronomie und Astrologie. Ich könnte im Notfall weder Sirius von einem Parkplatzstrahler unterscheiden noch den Großen Wagen zuverlässig aufspüren. Würde ich auf einem Flug zum Mars verlorengehen, wüsste ich nicht einmal, wie herum man die Sternbilder halten muss.
Kometen kommen und gehen. Sterne verglühen. Galaxien verblassen. Der „Ich kann das Licht auch wieder anmachen“-Mann hingegen bleibt, zumindest in meiner Erinnerung. Wie ein Fixstern. Nur unflexibler.
Denn was lässt sich Schöneres mitnehmen als die Gewissheit: dass da jemand in der Dunkelheit sitzt, mit Mikro in der Hand, der das Licht jederzeit wieder anmachen kann.
Fiona Pröll





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